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Hobby und Freizeit











          „Dieses Buch ist                      ennen Sie den Film „Das Streben   wissenschaft jedoch stützt sich auf
                                                nach Glück“ mit dem Hollywood-
          eine Abrechnung                  Kschauspieler Will Smith in der      zahllose Annahmen, die jeder Grund-
                                                                                lage entbehren.“ Weiter kritisieren sie,
          mit der Glücks-                   Hauptrolle? Der Film lief vor einiger   was „Glücksforscher“ predigen, sei
          industrie“                        Zeit auch im Fernsehen. Ich schaute   ein mächtiges Instrument für Organi-
                                                                                sationen und Institutionen, um sich
                                            ihn mir erwartungsvoll an, weil ich
                                            glaubte, der Film würde philosophi-  „gehorsame Arbeitnehmer, Soldaten
                                            sche Fragen unterhaltsam und inter-  und Bürger schmieden zu können“.
                                            essant behandeln. Meine Erwartungen
                                                                                Während im 18. Und 19. Jahrhundert
          Sind Sie                          wurden enttäuscht. Der Film ist eine   der Anspruch auf individuelles Glück
                                            platte und hochideologische „Vom Tel-
                                                                                noch auf eine Überwindung der beste-
          schon                             lerwäscher zum Millionär“-Geschichte.   henden Verhältnisse abzielte, sei es
                                                                                heute genau umgekehrt: Heute sei das
                                            Die Ideologie des Films: Glück, Un-
                                                                                Streben nach Glück „ein Werkzeug im
                                            glück, Arbeitslosigkeit, Armut, Leid
                                            und Krankheit sind eine Frage der   Dienst der zeitgenössischen Macht“.
          glücklich                         Wahl. Mit anderen Worten: Jeder     Was früher der Gehorsam gewesen
                                                                                sei, sei heute die „Arbeit am Selbst“.
                                            kann sich selbst aussuchen, ob er ein
                                            unglücklicher oder glücklicher Mensch
          oder                              wird. Weil dies von seiner Einstellung   Geradezu eine Einladung für
                                            und seinem Verhalten abhängt. Also
                                            von selbst gewählten Faktoren. Trotz   Politiker zum Nichtstun
          arbeiten                          des offensichtlichen Widerspruchs   Wieso misstrauen die Autoren der
                                            zwischen der Ideologie des Films und
                                                                                Positiven Psychologie und Glücksfor-
                                            der sozialen Wirklichkeit in den USA
          Sie noch                          wurde der Film ein weltweiter Kas-  schung? Dazu einige Beispiele: Die
                                                                                Positive Psychologie behauptet, dass
                                            senerfolg und spielte 307 Millionen
                                            US-Dollar ein. Mit diesem Beispiel
                                                                                das menschliche Glück zu 50 Prozent
          daran?                            beginnen die international renommier-  von der Genetik abhänge und zu 40
                                            te israelische Soziologin Eva Illouz
                                                                                Prozent von willensmäßigen, kogniti-
                                            und der spanische Psychologe Edgar
                                                                                ven und emotionalen Faktoren. Äußere
                                            Cabanas ihr Buch „Das Glücksdiktat   Faktoren wie Einkommen, Bildungsni-
                                            und wie es unser Leben beherrscht“.   veau und sozialer Status aber wür-
                                                                                den das persönliche Glück nur zu 10
                                            Statt Gehorsam                      Prozent beeinflussen. „Diesem Rezept
                                            Arbeit am Selbst                    zufolge ist, um glücklicher zu werden,
                                                                                nichts so wirkungsvoll, wie das alltäg-
                                                                                liche Denken, Fühlen und Verhalten
                                            Das Buch ist eine Abrechnung mit der   zu ändern“, kritisieren die Autoren zu
                                            Glücksindustrie. Die Autoren belegen   Recht. Denn es würde darauf hinaus-
                                            ihre Kritik an der von dem amerikani-  laufen, dass ein Obdachloser nicht
                                            schen Psychologen Martin Seligman   deshalb unglücklich ist, weil er keine
                                            begründeten Positiven Psychologie   Wohnung hat und gezwungen ist, auch
                                            und der darauf fußenden „Glücks-    bei Minusgraden im U-Bahnhof zu
                                            forschung“ vielfältig und mit sehr   übernachten, sondern weil er falsch
                                            guten Argumenten. Ihr vernichtendes   denkt und fühlt, also die falsche Ein-
                                            Urteil: „Um es freiheraus zu sagen:   stellung hat. Diese Ideen der Positiven
                                            Die Glücksforschung ist eine Pseu-  Psychologie und Glücksforschung sind
                                            dowissenschaft, deren Postulate und   geradezu eine Einladung für Politiker,
                                            Logik sich durchweg als fehlerhaft   nichts gegen soziale Missstände zu
                                            erweisen. Der pragmatische Philosoph   tun. So verwundert es auch nicht, dass
                                            Charles Peirce hat einmal gesagt, eine   Martin Seligman, dem Begründer der
                                            Argumentationskette sei nur so stark,   Positiven Psychologie und Glücksfor-
                                            wie ihr schwächstes Glied; die Glücks-  schung, nach eigenen Aussagen die




                                            Eine Rezension von Udo Brandes


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