Page 38 - FM_OL_1-2020-Flipbook
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Hobby und Freizeit
„Dieses Buch ist ennen Sie den Film „Das Streben wissenschaft jedoch stützt sich auf
nach Glück“ mit dem Hollywood-
eine Abrechnung Kschauspieler Will Smith in der zahllose Annahmen, die jeder Grund-
lage entbehren.“ Weiter kritisieren sie,
mit der Glücks- Hauptrolle? Der Film lief vor einiger was „Glücksforscher“ predigen, sei
industrie“ Zeit auch im Fernsehen. Ich schaute ein mächtiges Instrument für Organi-
sationen und Institutionen, um sich
ihn mir erwartungsvoll an, weil ich
glaubte, der Film würde philosophi- „gehorsame Arbeitnehmer, Soldaten
sche Fragen unterhaltsam und inter- und Bürger schmieden zu können“.
essant behandeln. Meine Erwartungen
Während im 18. Und 19. Jahrhundert
Sind Sie wurden enttäuscht. Der Film ist eine der Anspruch auf individuelles Glück
platte und hochideologische „Vom Tel-
noch auf eine Überwindung der beste-
schon lerwäscher zum Millionär“-Geschichte. henden Verhältnisse abzielte, sei es
heute genau umgekehrt: Heute sei das
Die Ideologie des Films: Glück, Un-
Streben nach Glück „ein Werkzeug im
glück, Arbeitslosigkeit, Armut, Leid
und Krankheit sind eine Frage der Dienst der zeitgenössischen Macht“.
glücklich Wahl. Mit anderen Worten: Jeder Was früher der Gehorsam gewesen
sei, sei heute die „Arbeit am Selbst“.
kann sich selbst aussuchen, ob er ein
unglücklicher oder glücklicher Mensch
oder wird. Weil dies von seiner Einstellung Geradezu eine Einladung für
und seinem Verhalten abhängt. Also
von selbst gewählten Faktoren. Trotz Politiker zum Nichtstun
arbeiten des offensichtlichen Widerspruchs Wieso misstrauen die Autoren der
zwischen der Ideologie des Films und
Positiven Psychologie und Glücksfor-
der sozialen Wirklichkeit in den USA
Sie noch wurde der Film ein weltweiter Kas- schung? Dazu einige Beispiele: Die
Positive Psychologie behauptet, dass
senerfolg und spielte 307 Millionen
US-Dollar ein. Mit diesem Beispiel
das menschliche Glück zu 50 Prozent
daran? beginnen die international renommier- von der Genetik abhänge und zu 40
te israelische Soziologin Eva Illouz
Prozent von willensmäßigen, kogniti-
und der spanische Psychologe Edgar
ven und emotionalen Faktoren. Äußere
Cabanas ihr Buch „Das Glücksdiktat Faktoren wie Einkommen, Bildungsni-
und wie es unser Leben beherrscht“. veau und sozialer Status aber wür-
den das persönliche Glück nur zu 10
Statt Gehorsam Prozent beeinflussen. „Diesem Rezept
Arbeit am Selbst zufolge ist, um glücklicher zu werden,
nichts so wirkungsvoll, wie das alltäg-
liche Denken, Fühlen und Verhalten
Das Buch ist eine Abrechnung mit der zu ändern“, kritisieren die Autoren zu
Glücksindustrie. Die Autoren belegen Recht. Denn es würde darauf hinaus-
ihre Kritik an der von dem amerikani- laufen, dass ein Obdachloser nicht
schen Psychologen Martin Seligman deshalb unglücklich ist, weil er keine
begründeten Positiven Psychologie Wohnung hat und gezwungen ist, auch
und der darauf fußenden „Glücks- bei Minusgraden im U-Bahnhof zu
forschung“ vielfältig und mit sehr übernachten, sondern weil er falsch
guten Argumenten. Ihr vernichtendes denkt und fühlt, also die falsche Ein-
Urteil: „Um es freiheraus zu sagen: stellung hat. Diese Ideen der Positiven
Die Glücksforschung ist eine Pseu- Psychologie und Glücksforschung sind
dowissenschaft, deren Postulate und geradezu eine Einladung für Politiker,
Logik sich durchweg als fehlerhaft nichts gegen soziale Missstände zu
erweisen. Der pragmatische Philosoph tun. So verwundert es auch nicht, dass
Charles Peirce hat einmal gesagt, eine Martin Seligman, dem Begründer der
Argumentationskette sei nur so stark, Positiven Psychologie und Glücksfor-
wie ihr schwächstes Glied; die Glücks- schung, nach eigenen Aussagen die
Eine Rezension von Udo Brandes
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