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Soziales
Patchworkfamilien –
ein Beziehungsgeflecht mit
großen Herausforderungen
Schulseelsorgerin erklärt, warum Trennungskinder
doppelt so viel Liebe von ihren Eltern benötigen
vonne Ahlers arbeitet seit August FAM: Wie sieht Ihr Alltag als Schul- Zeit zeigt sich auch in dem ständigen
2016 als Schulseelsorgerin und seelsorgerin aus? Zusammenbruch der Familien.
Yunterstützt den Alltag an der
Liebfrauen- und an der Paulus-Schule Yvonne Ahlers: Die LFS und die Paulus- FAM: Was halten Sie von dem Begriff
in Oldenburg. Sie hat stets ein offe- Schule sind wie eine kleine mir an- „Patchworkfamilien“?
nes Ohr für die Ängste und Nöte der vertraute Gemeinde mit über 1.500 Mit-
SchülerInnen. Im Interview verrät gliedern. Einen geregelten Arbeitsalltag Yvonne Ahlers: Ich lehne die Bezeich-
Ahlers, wie ihr Alltag als Schulseel- gibt es für mich nicht, weil das Leben nung Patchworkfamilie vehement
sorgerin aussieht, vor welchen He- so vieler Menschen oft nicht gere- ab. Sie erinnert mich an bunte Ta-
rausforderungen Jugendliche heute gelt abläuft. Ich bin jederzeit für alle gesdecken, die mit Liebe aus kleinen
stehen und wie Eltern sich in Tren- möglichen Anliegen ansprechbar, sei Stücken Stoffen zusammengenäht
nungssituationen verhalten sollten. es ein Streit, Mobbing oder ein Unfall. wurden. Dabei ist es genau das
Ich stecke mittendrin, bin in der Krise Gegenteil: Patchworkfamilien sind
FAM: Warum haben Sie den Beruf dabei. Wenn ich durch die Schulhäuser zerrissene Familien. Es sind Fami-
der Schulseelsorgerin ergriffen? gehe, werde ich direkt angesprochen. lienbiografien geprägt durch die
Trennung der Eltern, Schuldgefühle,
Yvonne Ahlers: Ursprünglich bin ich FAM: Aus welchen Gründen kommen wechselnde Partner und ein zerstör-
ausgebildete Pastoralreferentin und die SchülerInnen zu Ihnen? tes, unsicheres Familienbild. Das hat
war lange in der Jugendarbeit der ka- nichts mit bunten Tagesdecken zu tun.
tholischen Kirche tätig. Ich bin immer Yvonne Ahlers: Zu 80 Prozent kommen
neugierig gewesen und habe mich ge- sie zu mir, weil sie zu Hause Proble- FAM: Wie wirkt sich die Unbeständigkeit
fragt: Wie ticken junge Leute und was me haben. Ich erlebe immer wieder der Familie auf die Jugendlichen aus?
denken sie über die Welt? Jugendliche einen hohen Redebedarf der Jugend-
misstrauen der Kirche häufig, wodurch lichen. Sie suchen mich auf, um im Yvonne Ahlers: Sie sind in einer
der Aufbau von einer persönlichen Be- gemeinsamen Gespräch ihre Welt zu Entwicklungsphase, in der sowieso
ziehung erschwert wird. Daher wollte sortieren und zu verstehen. Denn es der Körper und der Geist durchein-
ich lieber an dem Lebensmittelpunkt ist bewegend, wie Schüler das Ge- ander gewirbelt werden. In dieser
der Jugendlichen arbeiten, der Schule, schehen in ihren Elternhäusern wahr- Phase wäre es wichtig, dass sie ein
um sie dann vor Ort zu unterstützen. nehmen. Die Schnelllebigkeit unserer sicheres Zuhause haben, das ihnen
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