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Familie und Soziales
Wir mussten meine Mutter
ins Pflegeheim geben …
Wie soll ich diese Situation meistern?
Liebes Familienmagazin,
unsere Familie befindet sich gerade in einer sehr schweren Situation.
Bisher sind mein Vater (88) und meine demente Mutter (84) noch ganz gut alleine zu Hause zu-
rechtgekommen. Nach einem Oberschenkelhalsbruch meiner Mutter mussten wir sie aber zunächst
in eine Kurzzeitpflege geben. Als dann die Entscheidung anstand, wie es weitergehen soll, wurde
uns drei Kindern schnell klar, dass mein Vater mit der Pflegesituation zu Hause völlig überfordert
sein würde, sodass wir dann schweren Herzens gemeinsam entschieden haben, sie in ein Pflegheim
zu geben, damit sie dort gut versorgt ist.
Diese Situation hat nun aber mein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Ich wohne mit meiner eige-
nen Familie 300 km entfernt und bin voll berufstätig. Natürlich fühle ich mich verantwortlich für
Zur Beantwortung meine Mutter und will sie regelmäßig dort besuchen und auch mein Vater braucht meine Unter-
und als Ratgebe- stützung bei dem gesamten Schriftkram, der nun anfällt. Seit einem halben Jahr fahre ich nun jedes
rin befragen wir Wochenende zu meinen Eltern. Ich merke aber, dass ich mit meinen Kräften zunehmend am Ende
Sabine Tewes, bin, wenn montags mein Berufsalltag wieder anfängt. Wie soll das weitergehen? Meine Mutter tut
Ärztin und Famili- mir so leid, wenn ich sehe, wie unglücklich sie dort ist. Aber wie kann ich allen gerecht werden,
entherapeutin in ohne selber auf der Strecke zu bleiben? Ich fühle mich so belastet, dass ich mich an nichts mehr
Oldenburg
freuen kann. Es fühlt sich so aussichtslos an. Haben Sie einen Tipp?
Liane S., 55 Jahre
Liebe Liane, Dafür sind zwei Fragen wichtig und zu Ängsten und Unsicherheit. Seien
hilfreich. Sie offen dafür, wenn sich Ihre Mutter
zunächst einmal mein allerherzlichstes mit ihren Ängsten und Unsicherheiten
Mitgefühl. Wenn unsere Eltern alt und 1.Was braucht Ihre Mutter? mitteilt. Nehmen Sie ihre Gefühle ernst,
pflegebedürftig werden und wir uns dann Zunächst einmal natürlich so viel wie hören Sie zu und zeigen Sie Verständnis.
eingestehen müssen, dass wir sie nicht möglich Vertrautes. Am Anfang sind
selber pflegen und betreuen können, tut häufige und regelmäßige Besuche sicher Versuchen Sie den Fokus Ihrer Mut-
das weh. wichtig und hilfreich, um ihr ein Gefühl ter aber auch immer wieder auf das zu
Ich denke, Ihre Familie hat die richtige von Sicherheit zu geben. Vertraute Dinge lenken, was gut ist in dieser Situation.
Entscheidung getroffen, indem sie die wie bekannte Möbelstücke, Bilder oder Vielleicht ist es das leckere Essen, die net-
Mutter – wenn auch schweren Herzens – die Lieblingsdecke können dazu beitra- te Pflegerin, die immer so herrlich mit ihr
in ein Pflegeheim gegeben haben. gen, dass sich Ihre Mutter in der neuen lacht, oder die Vögel auf der Fensterbank,
Natürlich ist die fremde Umgebung für Umgebung wohler fühlt. Sie können die sie beobachten kann.
ihre Mutter neu und in ihrer Demenz versuchen, mit ihr zusammen ihr neues
fühlt sie sich dort verständlicherweise Zuhause so gemütlich wie möglich zu Zeigen Sie Mitgefühl, aber kein Mitleid.
unsicher. Ihre Mutter unglücklich zu gestalten. Es geht letztlich darum, diese Situation
sehen, ist schwer. als das zu akzeptieren, was es ist: die
Die emotionale und körperliche Belas- All das kann aber nicht darüber hin- einzige tragbare Lösung. Ihre Mutter hat
tung für Sie als Tochter in dieser Situati- wegtäuschen, dass dieser neue Lebens- 84 Jahre selbstständig gelebt und ist nun
on ist nicht zu unterschätzen. abschnitt für Ihre Mutter ein massiver im Alter auf fremde Hilfe angewiesen.
Umbruch ist. Gerade wenn dann auch Wie gut, dass wir Pflegeheime haben,
Wie also können Sie diese Situation noch Demenz mit im Spiel ist, führt die wo man sich um unsere alten Menschen
meistern? neue Umgebung verständlicherweise kümmert.
22 familienmagazin | Winter 2024