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Hobby und Freizeit








                                                                                Ein Gespräch mit

                                                                                dem Philosophen
                                                                                und Manager Dr.

                                                                                Michael Andrick



                                                                                von Udo Brandes


                                                                             © K. Kovac




                 Ist Ehrgeiz eine Tugend?






       Erfolg steht in unserer Gesellschaft hoch   konnte. Von einer solchen Haltung   dem orientieren, was andere für wich­
       im Kurs. Wer erfolgreich ist, genießt bei   der Eltern lernen Kinder, sich an den   tig, richtig oder wertvoll halten. Wegen
       uns hohes Ansehen. Ist dementsprechend   Werten anderer zu orientieren, anstatt   dieser Außenorientierung treffen
       Ehrgeiz eine Tugend? Und der von Erfolgs-  herauszufinden, was sie selbst mit   ehrgeizige Menschen im Grunde keine
       streben und Ehrgeiz motivierte Mensch   ihrem Leben anfangen wollen. Deswe­  wirklich eigenen Entscheidungen. Und
       ein tugendhafter Mensch? Ganz und gar   gen ist Ehrgeiz problematisch; es ist   das ist ein schlechtes Rezept für ein
       nicht, meint Dr. Michael Andrick, Philosoph   im Grunde die Haltung eines eifrigen   zufriedenes Leben. Das lehren übri­
       und Manager aus Berlin. Er veröffent-  Mitläufers und Jasagers. Ich bezeichne   gens auch die besseren „Management­
       lichte vor Kurzem ein Buch mit dem Titel   ihn am Ende meines Buches als „pseu­  Gurus“ ihren MBA­Schülern, wie zum
       „Erfolgsleere. Philosophie für die Arbeits-  domoralischen Wahnsinn“, weil sich   Beispiel der erst kürzlich verstorbene
       welt“. Wir hatten Gelegenheit, darüber mit   ehrgeizig erarbeiteter Erfolg wie der   Harvard­Professor Clayton Christensen:
       ihm ausführlich zu sprechen. In dieser   Lohn der Tugend anfühlen kann. Dabei   Er ermahnte seine Studenten stets, die
       Ausgabe können Sie den ersten Teil dieses   ist er das Ergebnis eifrigen Gehorsams.   Frage nach dem Sinn des Lebens vor
       Gesprächs lesen. Den zweiten Teil bringen   All das ist sprachlich ungewohnt, und   alle wirtschaftlichen Erwägungen zu
       wir in der nächsten Ausgabe.         man muss meinen Gedankengang        stellen, und machte sie regelrecht in
                                            schon nachlesen, um am Ende hoffent­  seinen Seminaren zum Thema.
       FAM: Viele Eltern wären wahrschein­  lich zu sagen: „Stimmt, so hatte ich
       lich heilfroh, wenn ihre Kinder ehr­  das noch nicht betrachtet!“        FAM: Der Mensch ist ein zutiefst so­
       geizig wären – und sich angepasst                                        ziales Wesen. Ist ein bestimmtes Maß
       verhielten. Nun sagen Sie in Ihrem   FAM: Dann gibt es also keinen gesun­  an Konformismus insofern nicht auch
       Buch, Ehrgeiz ist ganz und gar nichts   den Ehrgeiz?                     etwas Natürliches?
       Positives, sondern „pseudomoralischer
       Wahnsinn“. Warum?                                                        Dr. Michael Andrick: Wir Menschen als
                                            Ehrgeizige Menschen sind            Gattung sind evolutionsgeschichtlich
       Dr. Michael Andrick: Zielorientierung                                    gesehen auf einen gewissen Grad an
       zu haben, zu wissen, was man will,   fremdbestimmt                       Konformität angewiesen. Sonst würde
       das ist gesund. Und das sollte man                                       ja unsere Gesellschaft nicht funktio­
       seinen Kindern auch vermitteln. Pro­  Dr. Michael Andrick: Ehrgeiz ist mit   nieren. Ich muss mich zum Beispiel im
       blematisch aber ist es, wenn man den   sportlichem Eifer betriebener Konfor­  Autoverkehr darauf verlassen können,
       Kindern vermittelt, dass sie sich von   mismus. Konformistisch sein bedeutet,   dass andere Menschen wie ich die
       vornherein einfach an dem orientieren   dass man sich an den Erwartungen   rechte Fahrbahn benutzen. Aber wir le­
       sollen, was in der Gesellschaft hoch   seiner Umgebung orientiert, damit   ben auch in einer Demokratie. Und die
       im Kurs steht. So eine Haltung der   man das einheimsen kann, was da     lebt davon, dass der einzelne Bürger
       Eltern schimmert zum Beispiel in ei­  zu bekommen ist, zum Beispiel Geld,   kritisch seine eigenen Gewohnheiten
       nem Satz wie „Aus dem wird mal was“   Anerkennung oder eine hohe soziale   und die seiner Umgebung hinterfragt
       durch; Papa und Mama wissen schon,   Stellung. Generell kann man deshalb   und sich ein eigenes Urteil bildet. Und
       wie Erfolg für das Kind aussieht, bevor   sagen, dass ehrgeizige Menschen   in diesem Zusammenhang ist Kon­
       es selbst Ansichten dazu entwickeln   fremdbestimmt sind. Weil sie sich an   formismus, der über das notwendige


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