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FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG  3 | 2022








        Dieses schöne Zitat von Astrid Lindgren aus dem Buch   zung, als dass wir sie bestärken in diesem individuellen
        „Ronja Räubertochter“ beschreibt es so wunderbar.     Prozess. Kinder erleben Trauer anders als Erwachsene.
        Es geht darum, in seinem Schmerz nicht alleine zu sein.  Dazu gibt es ein schönes Bild von Astrid Lindgren:
        Das Wichtigste in dieser schwierigen Situation ist es, die   Für Erwachsene ist die Trauer wie das Waten durch einen
        Kinder nicht auszuschließen.                          sumpfigen Fluss.
        Lassen Sie sie teilhaben an dem, was da gerade passiert.   Kinder springen dagegen in Pfützen – und auch schnell
        Der Opa ist sehr krank. Und Sie sind darüber sehr traurig.  wieder hinaus.
        Kinder lernen immer an unserem Vorbild. Wenn Sie sich   D. h., Kinder können in einem Moment sehr traurig oder
        mit Ihrem Gefühl ehrlich zeigen und mitteilen, wird auch   wütend sein in ihrer Trauer um den Opa und im nächsten
        Ihr Kind lernen, sich ehrlich und offen mitzuteilen.  Moment munter lachen und spielen. Das ist ein gesunder
        Ich höre, dass Sie die Kinder am liebsten mit diesem The-  Bewältigungsmechanismus in dieser schwierigen Situati-
        ma – Krankheit, Tod und Trauer – verschonen möchten.  on! Da können wir Erwachsenen durchaus etwas von den
        Aber ist das überhaupt möglich?                       Kindern lernen!
        Krankheit und Sterben gehören zu unserem Leben dazu.
        Nichts auf dieser Welt ist ewig. Jede Pflanze, jedes Tier   Sie können Ihren Kindern Verluste im Leben nicht erspa­
        und jeder Mensch wird irgendwann diesen irdischen     ren. Aber Sie können sie dabei gut begleiten, indem Sie
        Körper verlassen. Warum tun wir uns also so schwer mit   Ihre eigenen Gefühle offen kommunizieren und die des
        diesem Thema? Weil es weh tut, Abschied zu nehmen.    Kindes wahrnehmen und liebevoll mit ihm aushalten.
        Endgültig Abschied zu nehmen von Menschen, die wir    Wenn Ihr Sohn Sie fragt: „Muss Opa sterben?“, antworten
        lieben, Abschied zu nehmen von dem, was uns vertraut   Sie ehrlich: „Ich weiß es nicht. Irgendwann sicher. Wann
        ist und was bisher ein selbstverständlicher Teil unseres   das ist, wissen wir nicht. Aber bis dahin machen wir uns
        Lebens war.                                           die Zeit mit ihm noch richtig schön und gucken, womit
                                                              wir ihm vielleicht eine Freude machen können, wenn es
        Sie sind traurig und sehr mit dem Abschied von Ihrem   ihm nicht so gut geht.“
        Vater beschäftigt. Das spüren Ihre Kinder! Es ist ein
        Trugschluss zu glauben, wir könnten unsere Gefühle vor   Es ist für Kinder wichtig, sich in beunruhigenden Situati­
        unseren Kindern verbergen. Kinder sind sehr wohl in der   onen nicht hilflos und ohnmächtig ausgeliefert zu fühlen.
        Lage, mit schwierigen Situationen umzugehen. Wenn wir   Das heißt, helfen Sie dem Kind, immer seine Handlungs­
        ehrlich mit ihnen sind!                               fähigkeit zu behalten. So können Sie das Kind ermutigen,
        Wenn Ihr Sohn Sie fragt, ob Sie traurig sind, antworten   etwas für den Opa zu tun, worüber er sich freut. Sei es,
        Sie ehrlich mit Ja. Und erklären Sie – natürlich altersge-  ein Bild zu malen, während er im Krankenhaus liegt,
        recht –, warum Sie traurig sind. Das hilft Ihrem Kind, Sie   seinen Lieblingskuchen zu backen oder ihm etwas vorzu-
        und die Situation besser einzuschätzen und es lernt, dass   lesen, wenn er selbst zu müde ist. Wichtig ist die Erfah­
        Traurigkeit in so einer Situation ein angemessenes Gefühl   rung: Ich kann etwas tun!
        ist. Und dann ermutigen Sie das Kind, Ihnen mitzueilen,
        wie es sich fühlt, wenn es an den Opa denkt. Auch für   Kinder sollten in den Prozess des Abschiednehmens
        Kinder ist es eine Veränderung, wenn sie sehen, dass der   immer und von Anfang an einbezogen werden. So fühlen
        geliebte Opa vielleicht schwächer wird. Da kann es dann   sie sich nicht ausgeschlossen und sind am Ende auf das
        ganz unterschiedliche Gefühle geben – Traurigkeit, aber   endgültige Abschiednehmen – den Tod – vorbereitet.
        auch Ärger oder Angst.                                Auch wenn es dann irgendwann um die Beerdigung
                                                              geht. Oft werden Kinder nicht mitgenommen, um sie zu
        Helfen Sie Ihren Kindern dabei, eigene Gefühle wahr-  schonen. Ich möchte Eltern dagegen ermutigen, Kinder
        zunehmen und in Worte zu fassen. Sich mitzuteilen in   im Vorfeld altersgerecht auf das heilsame Abschiedsritual
        schwierigen Situationen ist eine wichtige Lernaufgabe,   der Beerdigung vorzubereiten und sie dann selbstver-
        die uns auch im Erwachsenenalter hilft. Wenn wir das als   ständlich als Teil der Familie mitzunehmen. So lernen sie
        Kind nicht lernen, ziehen wir uns später oft in uns zurück,   früh den Kreislauf des Lebens kennen und erleben sich
        wenn es uns nicht gut geht, anstatt uns mitzuteilen und   als Teil davon.
        so die Erfahrung zu machen: Wir sind nicht alleine.
        Wichtig zu verstehen ist, dass der Trauerprozess schon   Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gutes und offe-
        vor dem endgültigen Verlust beginnt. So trauern wir   nes Miteinander in dieser Zeit. Machen Sie den Anfang.
        um den Menschen, den wir einmal hatten, der durch die   Teilen Sie sich mit – Ihren Kindern und auch Ihrem Vater
        Krankheit aber nicht mehr so ist, wie wir ihn kennen. Sie   gegenüber.
        trauern auch jetzt schon um Ihren vitalen starken Vater   So ermutigen Sie die anderen, sich ebenfalls mit ihren
        und Ihre Kinder um den lustigen Opa.                  Gedanken und Gefühlen zu zeigen und das schafft eine
                                                              wertvolle und für alle heilsame Verbindung miteinander.
        Trauer ist eine gesunde kreative Reaktion auf einen Ver-
        lust. Hier brauchen Kinder nur insofern unsere Unterstüt-  Sabine Tewes




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