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FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG 1 | 2021
unterstand dem Psychiater Dr. Hubert sie. Alle Menschen sind auf Korrekturen Freie Wählergemeinschaft bzw. deren
Haderthauer. Oberste Dienstherrin angewiesen, doch Mächtige werden Vertreter im Untersuchungsausschuss
der Klinik (als Sozialministerin) wurde selten korrigiert. Und ganz gewiss strebt habe ein echtes Interesse an Aufklä-
schließlich ausgerechnet Christine Ha- gerade deshalb ein bestimmter Typus rung gehabt. Wie ist dies zu erklären?
derthauer. Auf Betreiben der Opposition von Kriminellen und psychisch auffälli- Das widerspricht doch der politischen
wurde deshalb ein Untersuchungsaus- gen Menschen zur Macht. Logik. Schließlich hätten die Oppositi-
schuss im Bayerischen Landtag einge- onsparteien aus einer Aufklärung des
setzt. Dessen Arbeit analysiert Petra FAM: Welche Strategie verfolgen Skandals politisches Kapital schlagen
Morsbach in ihrem Essay detailliert. Machtmissbraucher, um sich gegen die können. Und die Oppositionsparteien
Denn auffällig war, dass die Opposi- Aufdeckung ihres Machtmissbrauchs hatten doch erst dafür gesorgt, dass
tion plötzlich keine Lust mehr hatte, zu wehren? überhaupt ein Untersuchungsaus-
nähere Details der Affäre ans Tageslicht schuss eingerichtet wurde.
zu bringen. Das Ehepaar Haderthauer Petra Morsbach: Mächtige merken oft
kam trotzdem nicht ganz so glimpflich nicht, dass sie missbrauchen, fühlen Petra Morsbach: Die Oppositionspar-
weg wie der Kardinal. Beide erhielten sich im Recht und weisen Vorwürfe teien hatten durch ihre Angriffe die
Strafbefehle (Geldstrafen) und sind vehement zurück. Nur ihre Sprache Regierungspartei geschwächt. In der
damit juristisch betrachtet vorbestraft. verrät bisweilen, dass ein verborgener Folge erwarteten sie – zu Recht –,
Den dritten Fall hat Petra Morsbach am Teil ihres Bewusstseins den Verstoß dass die CSU bei der nächsten Wahl
eigenen Leib erlebt und dokumentiert. ahnt. Die Strategien sind je nach die absolute Mehrheit verlieren würde
Situation hoheitliches Schweigen, und gezwungen wäre, mit den bishe-
Auf die Frage, warum sie als Roman- Scheinentgegenkommen, Ironie, Spott, rigen Oppositionellen zu koalieren.
autorin das Thema nicht in Form einer Notlügen, schließlich Drohungen und Jede im Ausschuss vertretene Partei
ausgedachten Geschichte bearbeitet Angriffe. Unter liberal geordneten Ver- kam dafür infrage. Zwar gibt niemand
hat, antwortet sie: „Die erkundeten hältnissen ist das jeweils Bluff, macht solche Gedankenspiele zu, doch wurde
Milieus waren so exotisch und die aber auf Unmächtige großen Eindruck. deutlich, dass die Abgeordneten – mit
Verwicklungen so reich an Widersprü- einer Ausnahme, dem Freien Wähler
chen und bestürzenden wie komischen FAM: Warum können die Opfer von Dr. Bauer – es sich mit der CSU nicht
Pointen, dass ich sie als Erfinderin Machtmissbrauch nicht mit Solidarität verderben wollten.
nicht hätte toppen können. Auch hätte rechnen, wenn sie den Machtmiss-
mir niemand geglaubt.“ Wir hatten Ge- brauch öffentlich machen? FAM: Sie schreiben auf Seite 169 über
legenheit, Petra Morsbach zum Thema Opportunisten Folgendes: „Nicht mal
„Machtmissbrauch“ zu interviewen. Petra Morsbach: Machtmissbrauch ver- die Opportunisten selbst wollen sich
schiebt das soziale Gefüge, in dem alle für opportunistisch halten, je opportu-
FAM: Frau Morsbach, wie sind Sie sich eingerichtet haben. In der Folge nistischer sie sind, desto weniger. (…)
auf das Thema „Machtmissbrauch“ entsteht eine irreguläre Wirklichkeit, Empfindliche Opportunisten können
gekommen? in der die Beteiligten sich einbilden sich schon durch die pure Gegenwart
oder einbilden wollen, dass alles in eines Menschen provoziert fühlen,
Petra Morsbach: Durch ein Erlebnis an Ordnung sei. Wer den Missstand beim der in derselben Situation unoppor-
der Bayerischen Akademie der Künste, Namen nennt, konfrontiert die Täter tunistisch handelt.“ Mir fielen dazu
deren Mitglied ich bin. Dort wurde ein mit ihren Vergehen und die Dulder mit zwei Namen ein: Oskar Lafontaine und
aus meiner Sicht willkürliches Verbot ihrer Mitschuld. Schuld und Scham Sahra Wagenknecht. Oskar Lafon-
von Buchvorstellungen verhängt, und erzeugen enormen Stress. Kritik taine wurde von SPD-Politikern wie
fast alle Kollegen nahmen es hin. wird dann als moralische Zumutung ein Unberührbarer behandelt. Sahra
Manche wurden sogar böse, als ich aufgefasst, und je heftiger die Mäch- Wagenknecht ist bei eigenen Partei-
widersprach. Mich beschäftigte die tigen sich wehren, desto stärker wirkt freunden aus der Linkspartei verhasst,
Frage, warum die Leute ihre Freiheit in ihrem Umfeld der Reflex, sie zu und lange Zeit auch bei der Main-
und ihre Rechte nicht nutzen. In der stabilisieren. streampresse. Beide Politiker zeichnen
Folge entdeckte ich, dass das Verhal- sich durch Prinzipientreue aus und
ten typisch war. FAM: Sie beschreiben in Ihrem Buch, sind das Gegenteil von Opportunisten.
dass im Haderthauer-Fall die Opposi- Sahra Wagenknecht konnte deshalb
FAM: Sind Machtmissbraucher be- tionsparteien SPD und Grüne zusam- in der DDR nicht studieren. Sie hatte
sonders kriminelle Menschen, oder men mit der Regierungspartei CSU es gewagt, die SED an deren eigenen
verführt die Macht Menschen dazu, sie die Aufklärung behindert hätten. So politischen Kriterien zu messen und
zu missbrauchen? wurden zum Beispiel Akten der Staats- Kritik zu üben. Oskar Lafontaine wollte
anwaltschaft, die gegen das Ehepaar den Verrat der Schröder-SPD an den
Petra Morsbach: Macht verändert auch Haderthauer ermittelte, aufgrund Grundwerten der SPD nicht mittragen.
gutwillige Leute, denn das Leben mit ihr des Votums der genannten Partei- Sehe ich das richtig, dass die Ursache
fühlt sich anders an als das Leben ohne en nicht angefordert. Lediglich die für die Aggression, die beiden entge-
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