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Hobby und Freizeit
genschlug, genau darin zu suchen ist, Firma braucht innovative Köpfe und FAM: Was ist die beste Strategie,
dass sie sozusagen die Verkörperung gleichzeitig Stabilität. Je etablierter um sich gegen Machtmissbrauch
eines Vorwurfs waren, den die Oppor- sie gemessen an Größe, Alter, Macht, zu wehren?
tunisten sich insgeheim selber mach- Prestige usw. ist, desto mehr ist sie
ten? Nämlich den Verrat an eigenen normalerweise auf Kosten des Kern- Petra Morsbach: Das Wichtigste ist
Idealen und Werten? geschäfts mit sich selbst beschäftigt. wahrzunehmen, dass Missbrauch über-
Kritische Denker sind zwar erwünscht haupt stattfindet. Eine Missbrauchs-
Petra Morsbach: Es ist plausibel. Ich und willkommen, doch nur so lange, situation ist immer komplex, weil sie
habe die Fälle Lafontaine und Wagen- wie sie die Machtverhältnisse nicht in- bei allen Beteiligten moralische und
knecht nicht verfolgt, doch wenn so viel frage stellen. Andererseits gibt es im- soziale Konflikte und starke, oft unbe-
Aggression im Spiel ist, deutet das auf mer wieder Einflüsse von innen – etwa wusste Affekte auslöst. Erst wenn man
unbewusste Gewissenskonflikte hin. einen Generationenwechsel – und von sich klarmacht, was abläuft, kann man
außen wie Prozesse, Skandale und eine Haltung einnehmen.
FAM: Welche Gefühle verletzt es, sich Wahlniederlagen, die eine Innovation
das Etikett „opportunistisch“ anheften unvermeidlich machen. Es ist komplex. FAM: Würden Sie grundsätzlich emp-
lassen zu müssen? fehlen, sich gegen Machtmissbrauch
FAM: Sie schreiben in ihrem Buch, dass zu wehren?
Petra Morsbach: Es verletzt die Eigen- Macht ein Tabu sei. Wie kommen Sie
liebe. Paradoxerweise folgen wir ja darauf? Woran machen Sie das fest? Petra Morsbach: Als Opfer sowieso,
dem Ideal des eigenständigen, verant- Und was ist daran peinlich? und zwar sofort. Als Zeuge sollte man
wortlichen und originellen Menschen. möglichst versuchen, sich Klarheit
Daraus ergeben sich zwei Probleme. Petra Morsbach: Offiziell hat Macht ein über die Verhältnisse zu schaffen, und
Erstens ist es unmöglich, immer schlechtes Image. Alle Mächtigen, mit dann abwägen, was zu tun ist; mein
eigenständig zu sein. Wir haben gar denen ich sprach, ob in Kirche, Poli- Buch enthält ein paar Tipps dazu. Aber
nicht die Kapazität, sämtliche Lebens- tik oder Akademie, stritten ab, jemals keiner ist zum Dauerretter geboren.
zusammenhänge zu durchdringen, etwas um der Macht willen getan zu Schon gelegentlicher und dosierter
und müssen uns bei einem Großteil haben. Einige bezeichneten sich sogar Protest ist eine Leistung. Das kann
unserer Themen auf Gemeinsinn und als ohnmächtig, vor allem dann, wenn so aussehen, dass man etwa einem
Hörensagen verlassen. Insofern sind es galt, Verantwortung zu übernehmen. Protestierer oder Whistleblower Soli-
wir ohnehin weniger originell, als wir Der notorisch ehrgeizige Söder bekam darität bekundet, oder ihn unterstützt,
uns fühlen bzw. gerne sehen wol- eine Titelgeschichte im Focus mit der oder nicht mitmacht, wenn erwartet
len. Zweitens wirken herausragende Überschrift: „Es ging mir nie um Macht!“ wird, dass man über ihn herfällt.
Qualitäten nur mit einem Publikum, Ich halte das für Selbst idealisierung,
das diese Qualitäten anerkennt. Wer die wie jede Idealisierung einer Beiga- FAM: Wie erklären Sie sich, dass aus-
aber ein Publikum gewinnen will, um be von Unehrlichkeit bedarf. gerechnet in einer Institution wie der
seine Besonderheit gesellschaftlich katholischen Kirche, die sich selbst als
zertifiziert zu sehen, läuft Gefahr, dem FAM: Wie denken Sie angesichts Ihrer moralische Instanz sieht, über viele
Publikum zu folgen und auf Kosten der Fallstudien über Macht? Und was Jahre so viele schwere Verbrechen
Eigenständigkeit dem Anschein der denken Sie über Menschen, die nach an Kindern begangen wurden – und
Eigenständigkeit zu dienen. Je erfolg- Macht streben? bis heute die katholische Kirche eine
reicher ehrgeizige Leute sind, desto wirkliche Aufklärung und Aufarbeitung
mehr neigen sie dazu, Geltung mit Petra Morsbach: Macht ist weder gut verhindert? Mir fällt dazu ein, dass der
Substanz zu verwechseln. Und desto noch böse, sondern ein Strukturele- berühmte Psychologe Alfred Adler in sei-
empfindlicher reagieren sie, wenn man ment, ohne das komplexe soziale nem Buch „Menschenkenntnis“ vor den
ihre Substanz öffentlich infrage stellt. Gebilde nicht funktionieren. Man guten, selbstlosen Menschen warnte.
sollte sie nicht mystifizieren, sondern
FAM: Haben Menschen, die eigen- als Aufgabenteilung sehen und die Petra Morsbach: Ich denke, dass in al-
ständig denken und das mitbringen, Mächtigen daran messen, ob und wie len ehrwürdigen Institutionen diesel-
was angeblich alle Unternehmen und sie ihre Aufgaben erfüllen. Menschen, ben Affekte und Mechanismen wirken:
Institutionen wollen, nämlich die Fä- die nach Macht streben, wird es immer Selbstidealisierung durch die Ideali-
higkeit, kritisch zu denken, überhaupt geben, und wir brauchen sie sogar. Nur sierung der Institution, verleugnete
eine Chance in großen Organisatio- müssen wir sie kontrollieren, auch und Machtsucht, das Überbewerten von
nen? Oder werden sie grundsätzlich gerade in unserem eigenen Umfeld. Geltung und Prestige. Niemand ist der
„aussortiert“, weil sie anecken – und Mein Essay befasst sich nicht mit dem Schurke in seiner eigenen Geschichte.
Machthaber stören? Rätsel der Mächtigen; ich glaube, es Jene Bischöfe, die etwa den Kardinal
gibt keins. Problem wie Lösung liegen Groer deckten, bildeten sich vermut-
Petra Morsbach: Grundsätze gibt es bei den Unmächtigen. lich ein, die Ehre der Kirche zu schüt-
nicht, es geht immer um Balance. Jede zen, und manche mögen sich am Ende © istock/lchumpitaz
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